Die Seidenweberei Schlieper, Wülfing & Söhne

Die ehemalige mechanische Seidenweberei an der Hauptstraße 37 ist ein letztes Zeugnis der
Frühindustrieansiedlung auf Hochdahler Boden. Der örtlich älteste Fabrikbetrieb setzte vor
allen anderen im deutschen Raum Kraft (Dampfmaschine) und Kraftverteilung
(Transmission) zum Antrieb von Webstühlen ein und ist deshalb im Hinblick auf die
Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse von herausragender Bedeutung

Im Jahre 1887 entstand „auf der grünen Wiese“ das heute noch in den Grundrissen bestehende
Fabrikgebäude der in Wuppertal-Barmen ansässigen Seidenmanufaktur Schlieper, Wülfing &
Söhne. Die Anlagen umfassten das Verwaltungsgebäude mit Kesselhaus und Kamin
(ursprünglich 36 m hoch!), Sheddach-Produktionshalle und Garnlager. Die Bausteine kamen
aus der heimischen Ziegelei der Familie Kemperdick (später Klinkerwerk).

Durch den erzeugten Dampf im Kessel- bzw. Maschinenhaus wurde nicht nur Webstühle
angetrieben, sondern auch alle Räume beheizt und der nötige Strom selbst erzeugt. Für den
Kohlentransport stellte ein eigener Schienenstrang die Verbindung zu der nahe
vorbeiführenden Eisenbahnstrecke her.

Mit 180 mechanisch betriebenen, hochmodernen Webstühlen konnte die Firma ihr
Verkaufsprogramm schnell ausweiten. Neben einigen hochwertigen Seidenartikeln, die immer
noch von Handwebern zumeist in Heimarbeit hergestellt wurden, entstanden in Hochdahl an
Jacquardstühlen glatte Futterstoffe aus Baumwolle, einfache Trachtentücher, aber auch
neuartige Stoffe, die bei der Puppenindustrie und den Schmuckkästchenfabrikaten beliebt
waren. Und da die Produktion, die voll und ganz auf die Verarbeitung von Halbseidenwaren
eingestellt war, weit über die Grenzen Deutschlands Absatz fand, wurden schließlich
Futterstofflager in New York und in London eingerichtet.

Der Mangel an Rohstoffen während des 1. Weltkrieges veranlasste den Firmenbesitzer, die fast zum Erliegen gekommene Produktion auf Papiergarn umzustellen. So konnte der Betrieb mit 10 Webstühlen noch bis zum Kriegsende arbeiten. Versuche mit Kunstseide liefen in den Nachkriegsjahren an, denn das Zeitalter der Chemiefasern und damit der Wechsel von der Maßkonfektion zum Anzug und Kleid „von der Stange“ war angebrochen. In den dreißiger Jahren schließlich wurde der Betrieb rundum rationalisiert. 130 moderne Hochleistungswebstühle verdrängten die alten Geräte. Auch der Transmissionsriemen hatte ausgedient, weil nun alle Stühle elektrisch angetrieben wurden.

Die Weltwirtschaftskrise ließ weitere Ausbaupläne platzen. Während des 2. Weltkrieges war
das Unternehmen dann damit beschäftigt, staatlich erteilte Aufträge auszuführen.

Die Nachkriegsjahre waren wie überall äußerst schwierig zu überstehen. Als festliches
Ereignis feierte die zusammengeschrumpfte kleine Betriebsfamilie jedes Mal das Eintreffen
von 2 oder 3 Tonnen Rohmaterial, damit die Webstühle in Gang blieben. Erst mit der
Währungsreform (20.06.1948) ging es schnell wieder aufwärts. 1950 wurde sogar angebaut.
Mit einem modernen Maschinenpark nahm vor allem die Fabrikation von querelastischen
Miederstoffen einen immer breiteren Rahmen ein, wobei schließlich auch die ersten
vollsynthetischen Fasern wie Perlon und Nylon verarbeitet wurden. Die Weberei in Hochdahl
galt zeitweise als das einzige Unternehmen in der Bundesrepublik, das in großer Muster- und
Farbauswahl hochwertige Qualitätsstoffe für die beliebte gummi-elastische Badebekleidung
herstellte.

1949 wurde der Wasserturm bis auf die Sockelzone abgerissen. Alte Hochdahler werden sich
vielleicht noch an den holzverkleideten Aufbau mit seinem Wasserstandsanzeiger erinnern.

Trotz aller Anpassungsmaßnahmen an den Markt machte die Krise in der Textilbranche auch
vor der Weberei an der Hauptstraße nicht halt. 1973 wurde der Betrieb, der vor allem Frauen
immer einen sicheren Arbeitsplatz geboten hatte, eingestellt. Der Geist einer großen
Werksfamilie erlosch für immer.

Fortschrittlich zeigte sich das Unternehmen auf dem sozialen Sektor. An langjährige
Mitarbeiter wurde freiwillig eine Rente gezahlt, kurz vor dem 1. Weltkrieg eine betriebliche
Unterstützungs- und Wohlfahrtskasse eingerichtet.

Der im Kern erhaltene historische Industriekomplex ist Anfang 2002 zu 15 Loftwohnungen
der Extraklasse umfunktioniert worden.

Der Schlieperweg, der direkt am ehemaligen Werksgelände vorbeiführt, erinnert an die
bewegte Vergangenheit.

Die Anfänge der Hochdahler Wasserversorgung sind mit dem Namen der Firma Schlieper,
Wülfing & Söhne eng verbunden; denn die 1903 gegründete und ein Jahr später im
Handelsregister eingetragene „Hochdahler-Wasserleitungs-Gesellschaft m.b.H.“ bekam für
viele Jahre das Wasser aus dem betriebseigenen Brunnen an der Hauptstraße. Die Firma
lieferte das Wasser zu einem Preise 10 Pfennig (!) pro cbm. Später wurde zusätzlich Wasser
aus dem Neandertal gefördert, nach dem 2. Weltkrieg auch aus dem Sedental.

Die Weberei an der Nordseite der Hauptstraße lag auf Millrather Gebiet, während die
gegenüberliegende Seite bis 1930 zu Erkrath gehörte. Darüber konnte der unvergessene
Günter Minderlein in seinem Haushaltswarengeschäft interessante Geschichten erzählen.

Zu den Hinterlassenschaften der Weberei gehören die in den Jahren 1895/96 erbauten
Werkswohnungen am Ende des Schlieperweges, die ebenso wie das Fabrikgelände unter
Denkmalschutz stehen. Die zweigeschossigen Doppelhäuser sind 1895/96 vermutlich für die
Werkmeister errichtet worden. Die Grundrisse spiegeln in ihrer Bescheidenheit die
Wohnverhältnisse der damaligen Zeit wieder. Zu dem inzwischen hervorragend restaurierten
Ensemble gehörten ursprünglich ein Nebengebäude, ein Stall und ein großer Garten, der
neben den Haustieren zur Eigenversorgung der Menschen wesentlich beitrug. Die Häuser
Hauptstraße 47, 49 und 51 sind ebenfalls für Betriebsangehörige mit Brandziegelsteinen
gebaut worden.

Im Rückblick auf die bewegte Firmengeschichte sind der langjährige Webereileiter Friedrich
Schorn, Mitbegründer des Bürgervereins Hochdahl (1877) und der letzte Werkleiter Willi
Müller als leitende Angestellte hervorzuheben (heute hießen sie Manager).

Erich Schlieper, der letzte Betriebsinhaber, verstarb 1988, seine bis zuletzt in Hochdahl
lebende Ehefrau Edda vor wenigen Wochen im Alter von fast 88 Jahren. Aus ihrer Ehe
stammen die Söhne Peter (Jg. 1941) und Lutz (Jg. 1952), die den Namen eines alten
bergischen Firmengeschlechts weiter tragen.

Herbert Bander, Version 10/2008